Interaktive Filme sind doch auch nur Filme

In unserer modernen middleware-gesteuerten Welt der Softwareentwicklung, in der Spielehersteller ihre Werke prinzipiell mit nur einem simplen Compiler-Flag gleichzeitig für alle großen Zielplatformen verfügbar machen könnten, setzen viele Publisher dennoch weiterhin auf das umstrittene, wirtschaftstaktische Element der Exklusivveröffentlichung für Konsolen. Ganz vorne mit dabei sind natürlich Nintendo und Sony. Selbstverständlich ist das allein deren Entscheidung, und höchstwahrscheinlich auch keine dumme Entscheidung, aber eine, die viele Spielefans in unschöne Situationen bringt. Oder vielleicht auch nicht, denn wie ich feststellen durfte, gibt es für viele „Probleme“ irgendwo das passende Gegenmittel.

beyondtwosoulsIn meinem speziellen Fall heißt dieses Gegenmittel YouTube. Genauer gesagt: Let’s Play. Noch genauer gesagt: Keine Let’s Plays, sondern Playthroughs. Ich bin kein echter Fan von Let’s Plays, denn die meisten sind übelstes Fremdschäm-Material. Doch zurück zum Anfang: Bereits vor Jahren wurde ich auf preisgekrönte Spiele wie „Heavy Rain“ aufmerksam, die beispielsweise exklusiv für die Playstation 3 veröffentlicht wurden. Theoretisch reizte mich als Filmfan die Idee interaktiver Filme schon ein wenig, so wie etwa 1998 „Tender Loving Care“ aka „Die Versuchung“, das auf mehreren CDs bzw. DVD für den PC und für DVD-Player verkauft wurde. Aber als bewusster Nicht-Konsolero war das seither noch keine Option. So ließ ich diese Spiele lange Zeit außer Acht.

Erst letztes Jahr entdeckte ich durch Zufall, dass viele dieser Spiele als komplettes Video bei YouTube hochgeladen werden. Wenn man Glück hat, dann sogar als sogenanntes Playthrough, also im Gegensatz zu den Let’s Plays ohne abgrundtief dämliches Gelaber von pickeligen Teenagern, die dem Zuschauer mit einem sagenhaft beschränkten Vokabular erzählen wollen, was man dort auf dem Bildschirm gerade sieht, für den Fall, dass man selbst blind und doof sein sollte. Wobei über die Begriffe „Let’s Play“, „Playthrough“ und „Walkthrough“ scheinbar noch gestritten wird. Viele kennen den Unterschied überhaupt nicht, oder nehmen die zusätzlichen Suchbegriffe dankbar in die Videobeschreibung auf, während sie gleichzeitig auf die Unterschiede scheißen. Wie oft habe ich Playthroughs hoffnungsvoll angeklickt, um dann bei den immergleichen einleitenden Worten „Halloooooooo, willkommen bei meinem Let’s Play“ das schrecklich quakende Browser-Tab unter heftigem Brechreiz hastig zu schließen. Örgh!

Dafür bin ich umso dankbarer, wenn es sich ein YouTuber tatsächlich mal verkneifen kann, das schöne Gameplay mit seinem blöden Gequassel zu ruinieren. Es gibt sie, aber es sind nicht viele. Es sind sogar noch weniger, wenn man die deutschen Fassungen der Spiele sucht. In Ermangelung einer PC-Version vieler dieser Spiele, habe ich mich also entschlossen, mich mit der vorgespielten Handlung zufriedenzugeben. Interaktive Filme sind doch eigentlich auch nur Filme. Was verpasse ich denn Großartiges? Dass ich die Gelegenheit habe, im richtigen Moment den richtigen Knopf auf dem Gamepad zu drücken, damit der Film nicht böse endet? Dass ich mich von Quicktime-Event zu Quicktime-Event hangeln darf? Vielleicht bin ich der falsche dafür, aber DAS ist es nicht, was mich am Spiel reizt. Ich bin sicher, mit der YouTube-Lösung bin ich gar nicht so schlecht bedient.

lastofusZugegeben, meine Darstellung ist natürlich etwas überspitzt. Mir ist bewusst, dass viele solcher Spiele auf ausgedehnte Action-Sequenzen bauen, worin der Spieler dann direkt die Kontrolle übernimmt, und nicht nur eine Ansammlung von geskripteten Ereignissen abspielen darf. „Kauf‘ dir doch einfach ’ne PS3!“, wurde mir gern empfohlen. Sicherlich ein gut gemeinter Rat (vor allem für Sony), und sich eine teure Spielekonsole, die dazugehörigen teuren Spiele und einen geeigneten Fernseher zu kaufen, ist bestimmt viel einfacher als eines der Videoportale im Internet zu besuchen. Oder vielleicht kaufe ich mir lieber keine Exklusivspiele, damit würde ich diese aus meiner Sicht unschöne Maßnahme nur noch selbst finanzieren.

So habe ich mir in den letzten Monaten tolle interaktive Filme wie Fahrenheit (Indigo Prophecy), Heavy Rain, Beyond: Two Souls, The Last of Us und The Last of Us: Left Behind komplett angesehen. Ich muss sagen, ich war wirklich begeistert. Obwohl ich nicht selbst gespielt habe, kam mir die Zeit nicht vergeudet, die Handlung der Spiele meistens durchdacht und schön vor. Ein netter Nebeneffekt ist außerdem der, dass man mitreden kann, ohne eine Konsole oder die Spiele zu besitzen. Aber klar, ein Half Life 2 oder Crysis etwa würde ich mir niemals als Video anschauen wollen, dafür ist der Spieler viel zu aktiv eingebunden und der Anteil am Spielgeschehen ohne Dialoge viel zu groß. Bevor es jemand in den Kommentaren schreibt: Ja, ich weiß dass es von Fahrenheit eine PC-Version gibt. Und ich weiß auch, dass The Last of Us nicht unbedingt ein interaktiver Film ist, aber man könnte darüber natürlich streiten.

4 Gedanken zu „Interaktive Filme sind doch auch nur Filme

  1. Gerry

    Obwohl ich nicht selbst gespielt habe, kam mir die Zeit nicht vergeudet, die Handlung der Spiele meistens durchdacht und schön vor.

    Das geht mir genauso. Sofern ich die entsprechende Plattform selbst besitze, ist YouTube für mich kein Ersatz für das eigene Spielen. Sollte sich für mich die Anschaffung eines Systems aufgrund der eingeschränkten Spielauswahl jedoch nicht lohnen, wie z.B. die PS Vita, so kann ich mit einem Playthrough auf YouTube das Spiel trotzdem genießen. Derzeit schaue ich das mehrteilige Playthrough zu „Uncharted – Golden Abyss“. Dank des storylastigen Spielverlaufs eignet sich das Spiel prima zum passiven Erleben.

    Eine Special Interest-Notiz am Rande:
    ——————————————–
    Zu „Resident Evil 5“ und „Uncharted 2“ gab es sogar lupenreine Playthroughs auf Doppel-DVD, die lediglich den vollständigen Spielablauf einschließlich aller Cutscenes zeigten.

    Ob Du es glaubst, oder nicht: In Japan sind vor Jahren schon Playthroughs von beispielsweise „OutRun“ und „Ridge Racer“ auf Laserdisc erschienen ;-).

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    1. Vince Beitragsautor

      Wahnsinn! Ein Playthrough von OutRun und Ridge Racer stelle ich mir äußerst abwechslungsreich vor :-)

      Ich dachte schon, ich sei der einzige, der Gefallen an Playthroughs gefunden hat. Sind mir früher nie aufgefallen, wenn man mal von den guten alten „Amiga Longplays“ auf YouTube absieht, die ich mir ebenfalls ganz gerne mal ansehe. Das sieht dort immer so leicht aus, dass ich mich schon fragen muss, wieso ich mir als Jugendlicher mit diesen Spielen immer einen abgebrochen habe.

      Inzwischen frage ich mich auch, ob ich einige der besten Playthroughs zur Sicherheit auf der Festplatte wegsichern sollte. Wie jeder weiß, sind Videos auf YouTube leider relativ flüchtig, besonders welche mit kopierrechtlich geschütztem Inhalt. Andererseits sind das aber recht beachtliche Datenmengen, wenn man die Videos in 720p bzw. 1080p haben möchte. Mit „Heavy Rain“ habe ich testweise mal angefangen, bestehend aus 27 Teilen und insgesamt 6 GB bei einer Spieldauer von 7:37 h. Und wie groß stehen die Chancen, dass ich mir dasselbe Playthrough ein zweites Mal ansehe?

      Ach, jammern auf hohem Niveau…

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  2. Gerry

    Das Playthrough von Apidya (wegen der Grafik und der Hülsbeck-Musik eines meiner Lieblingsspiele) habe ich mir als VideoDVD gebrannt und schaue es mir von Zeit zu Zeit gemütlich am TV an.

    Kannst Du Dich noch an „Spiele“ wie Dragon’s Lair oder Space Ace erinnern? Das Gameplay ist zwar so gut wie nicht vorhanden, aber dennoch stressig. Als Grafikdemo eigneten sie sich dafür umso besser. Space Ace war auch mein erstes und einziges selbsterstelltes Playthrough: Damals habe ich meinen Rechner einfach per SCART an unseren Videorekorder angeschlossen und habe das Spiel von Anfang bis Ende in einem Rutsch durchgespielt ;-).

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    1. Vince Beitragsautor

      Dragon’s Lair kenne ich, habe ich aber nur einmal angespielt. Dafür hat sich mir Space Ace umso stärker ins Gedächtnis eingebrannt: Kaum ein Spiel hat mich lauter fluchen lassen als jenes. Bildschirm um Bildschirm musste man irgendwelchen Laserstrahlen oder sonstigen Todesfallen ausweichen, um dann schon beim kleinsten Fehltritt mit einer witzigen Animation pulverisiert zu werden. Frustfaktor war damals noch ein Verkaufsargument, schätze ich. Sehr beeindruckend, dass du das durchgespielt hast. Ich habe mich meistens bei diesen Labyrinthen sehr schwer getan, die man mit dem Raumschiff durchfliegen musste.

      Tatsache, Apidya ist musikalisch und optisch schon ein Highlight. Also wenn du selbst schon Playthroughs für den Eigenbedarf archivierst, dann nehme ich das mal zum Anlass, um damit auch im großen Stil anzufangen :-)

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