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Die zurückliegende Woche war eine, die mich nachdenklich gemacht hat. Der geschätzte Mit-Atarianer und Blogbesucher Frank hat mit Hilfe unserer spannenden E-Mail-Korrespondenz dafür gesorgt, dass ich mich erneut eindringlich mit Linux beschäftigt habe. Schließlich ließ mich das Thema dann tatsächlich nicht mehr los. Sollte ich wirklich die kommenden fünf Jahre auf dem alternden Windows 7 aussitzen und mich erst dann ratlos nach Alternativen umsehen? Ich entschied mich, den Sprung ins kalte Wasser sofort zu wagen. Keine Test-VMs mehr, keine halben Sachen, einfach installieren und los. Und so kaufte ich spontan eine kleine SSD, warf Windows kurzerhand raus und dafür die DVD für Linux Mint 18.1 ein.

So kann ich nun stolz verkünden, dass ich inzwischen windowsfrei bin. Bis jetzt ist mir der Umstieg relativ leicht gelungen, ein paar Stunden Arbeit waren es zwar schon, aber die meisten neuen Tools habe ich mir jetzt zu Eigen gemacht, den Rest kannte man schon lange aus der Windowswelt. Sogar echte Festplattenverschlüsselung verwende ich jetzt. Ein paar Kleinigkeiten fehlen mir hier, aber im Großen und Ganzen bin ich sehr zufrieden. Ich möchte in diesem Beitrag auf meine positiven und auch negativen Erfahrungen bisher eingehen.

Zunächst muss ich anmerken, dass die Installation für meinen Geschmack doch noch etwas einfacher sein könnte: So musste ich zunächst entscheiden, ob ich „/dev/sdb“ vor der Installation aushängen will, weil das irgendwelche Nachteile haben könnte. Bitte was? Keine Ahnung, was heißt das? Der unbedarfte Anwender kapituliert hier sofort. Und dann diese UEFI-Warnung, weil Linux erkannt haben will, dass zuvor ein Betriebssystem im alten BIOS-Modus installiert wurde. Auch hier: Keine Ahnung, was mache ich denn kaputt, wenn ich mich falsch entscheide? Ratloses Recherchieren im Internet, das mich am Ende nicht weiterbringt. Dann eben doch der Leap of Faith. Kein Anwender würde hier guten Gewissens weitermachen ohne einen Linux-Profi zu fragen. Und das bei Linux Mint. Das muss nicht sein.

Dann die ersten positiven Überraschungen. Mint bringt ein dickes Softwarepaket als Starthilfe mit: u.a. Firefox, Thunderbird, Pidgin, diverse Medienspieler (z.B. VLC-Player) und Codecs, Libreoffice, GIMP, sogar den BitTorrent-Client Transmission. Mint hat ungefähr einhundert Bildschirmschoner. Sound funktioniert auf Anhieb, Internetzugriff funktioniert auf Anhieb. Nicht so toll: Obwohl Linux meine Grafikkarte korrekt erkennt und scheinbar auch einen freien Treiber dafür hat, startet er im lahmen Software-Renderer-Modus. Der Wechsel auf den Nvidia-Treiber gelingt kinderleicht mit wenigen Mausklicks, und sofort gibt es 2D- und 3D-Grafikbeschleunigung. Super!

Dazwischen stürzt mir Linux das erste Mal ab: Direkt nach der Installation des Nvidia-Treibers fährt Linux nicht mehr hoch – die Eingabe des Entschlüsselungskennworts klappt nicht, der Rechner reagiert gar nicht. Nach einem Hard Reset gehts dann aber zum Glück doch wieder. Und dann der erste kleine Härtetest: 1080p-Videos laufen im VLC-Player absolut problemlos und flüssig. Im alternativen „Xplayer“ dagegen stockt die Wiedergabe leicht, ist also eher nicht zu gebrauchen.

Der nächste Test war deutlich witziger: Mint hat meine beiden anderen NTFS-Festplatten auf Anhieb erkannt und als Datenträger eingehängt. Ich klickte mich so durch die Verzeichnisse und fand einige meiner Windows-Spiele. Die EXE-Dateien werden freundlicherweise mit einem Windows-Symbol dargestellt. Ein Rechtsklick offenbart die Option „Mit Wine starten“. Kurzerhand doppelklickte ich Amnesia – The Dark Descent und das Spiel startete zu meiner gigantischen Überraschung sofort. Ich stellte die Auflösung 2560×1440 ein und spielte einige Minuten. Und ja, ich weiß dass es eine Linux-Version von Amnesia gibt, aber sogar die Windows-Version läuft ohne Schwierigkeiten. Es ist erfreulich und befremdlich zugleich, zu sehen, dass ich Windows-Programme unter Linux starten kann, so als wär das was ganz normales. Wine scheint doch deutlich leistungsfähiger zu sein als ich das vermutet hätte. Ein Blick in die AppDB von Wine offenbart, dass tatsächlich nicht wenige (ganz moderne wie auch sehr alte) Windows-Spiele perfekt (oder nahezu perfekt) mit Wine laufen.

Der Vorteil beim Umgang mit NTFS-Festplatten ist auch, dass mir die fehlenden Dateiberechtigungen nie auf die Nerven fallen. Das ist keinem Anfänger zuzumuten, dass er sich immer erstmal mit der Meldung „Keine Berechtigung“ herumschlagen muss, und für jedes gottverdammte Verzeichnis entscheiden soll, wer darauf Lesen und Schreiben darf. Ich kenne Informatiker, die in solchen Fällen irgendwann keinen Bock mehr haben und einfach flächendeckend „777“ einstellen – also quasi alle Rechte für jeden. Und ich kann sie gut verstehen. Wie oft habe ich stundenlang herumgerätselt, wieso ein bestimmtes Programm nicht startet. Und was war es am Ende? Keine Leserechte für ein popeliges Verzeichnis. Das muss nicht sein.

Der Anwender in mir stört sich nach wie vor sehr an dem unnötig kryptischen Linux-Dateisystem (/mnt/ (Maintenance?), /proc/ (Processor?), /srv/ (Server?), /sbin/ (Super Binaries?) ???), da ist Windows mit seinen sprechenden Namen doch noch weiter, so ungern das die Linuxer hören. Ich hab keine Ahnung was /opt/ (Options?) bedeutet und was da reinkommt. Ich hab Eclipse dort entpackt (und vorher die Berechtigungen anpassen müssen, duh!). Wahrscheinlich war das falsch, keine Ahnung. Es ist nicht intuitiv. Nein, absolut nicht. Man kann sich daran gewöhnen und man kann es auswendig lernen, aber intuitiv wird das nie sein.

Die Anwendungsverwaltung ist der nächste Hit: Die Linux-Fans bringen sie gern als das Top-Argument gegen Windows, wo immer erstmal ein Installer heruntergeladen werden muss. Mit der Anwendungsverwaltung entfällt das händische Updaten der vielen Programme auf dem Rechner, denn die kümmert sich automatisch darum. Dumm nur, dass die Anwendungsverwaltung eben nicht alle Programme kennt, und man dann in Einzelfällen doch wieder im Internet nach Installationsdateien suchen darf – wie unter Windows. Außerdem kam mein Linux Mint mit einer älteren Version von Libreoffice daher (5.1.x), und die Anwendungsverwaltung wollte nicht auf 5.2.5 aktualisieren. Und schlimmer: Sie hat mir Version 3.8 von Eclipse installiert – diese ist fünf Jahre alt! Version 4.6 musste ich also doch wieder von Hand installieren. Das ist einfach schlecht gemacht. So wirklich gut kann das mit den automatischen Updates also nicht funktionieren, wenn fünf Jahre alte Programmversionen als „aktuell“ durchgehen.

Die Konsole ist super. Und zwar nicht, weil ich damit so extrem effizient und schnell arbeiten kann, sondern weil ich sie bisher noch nicht gebraucht habe. Es geht nichts über Konsolenbefehle, damit der Profi sein Ziel in Rekordzeit erreichen kann, sofern er alle Befehle und die Parameterreihenfolge auswendig kann. Aber wenn ein Anfänger, der überhaupt keinen Bezug zu Konsolenfenstern hat, plötzlich gezwungen ist, damit zu arbeiten, weil es keinen Mausklickweg zu einer bestimmten Funktion oder Einstellung gibt, dann ist das einfach nur Mist. Im Jahr 2017 muss es zumindest möglich sein, alles irgendwie mit der Maus zu erreichen. Ja, das ist langsamer, aber es liegt Anfängern näher. Profis werden mir jetzt vehement und wüst schimpfend widersprechen. „Linux muss so sein, das ist auch gut so! Wenn’s nach mir ginge, gäbe es gar keine grafische Oberfläche mehr, bla blub…“.

Anstelle von Firefox versuche ich es jetzt einmal mit dem Vivaldi-Browser. Das ist der geistige Nachfolger des alten Opera-Browsers, der noch auf Funktionsvielfalt und nicht auf hirnlosen Minimalismus gesetzt hat. Ich bin bis jetzt äußerst begeistert davon, da er einige Features mitbringt, die ich sonst meist per Addon nachrüsten muss (Mausgesten, Tabgruppen, Tab-Hibernation, Schnellwahl, Tab-Preview etc.). Ich denke, ich bleibe erstmal dabei.

Wie ist mein Fazit bisher? Linux wirklich als Desktop-Betriebssystem? Als Windows-Ersatz, sogar für Linux-Neulinge? Ja, grundsätzlich schon – wenn es denn auf Anhieb funktioniert. Leider ist das nicht immer der Fall. Fehlender Sound, fehlende Grafikbeschleunigung, Linux fährt direkt nach der Installation nicht mehr hoch, Probleme mit Dateiberechtigungen … alles schon erlebt, und schon muss man wieder ins Linux-Forum und darf die doofe Konsole aufmachen. Die Liste potentieller Probleme ist lang. Mit Standard-Hardware hat man es zum Glück leichter. Ein einmal eingerichtetes Linux ist dagegen eine echte Erleichterung und Freude, umgewöhnt hat man sich schnell. Man muss sich zwangsläufig ein paar neue Tools suchen, und auch bei den Spielen muss man natürlich einige Abstriche machen, aber Wine federt das ganze schon deutlich ab. Alles andere funktioniert wie man es kennt: Surfen im Internet, E-Mails abrufen, Musik hören, Filme schauen, ein bisschen Grafikbearbeitung und Softwareentwicklung, das alles ist kein Problem.

Bis jetzt bin ich wirklich zufrieden und auch überrascht davon, wie gut es funktioniert. So kann es meinetwegen bleiben. Ich werde in ein paar Wochen einen weiteren, etwas fundierteren Erfahrungsbericht abliefern. Sicherlich werden mir noch mehr Probleme auffallen, über die es dann zu berichten gilt.

Eine wirklich wahre Geschichte, die für meinen Geschmack mal wieder ausreichend dumm ist, dass ich sie der Weltöffentlichkeit nicht vorenthalten möchte. „Amnesia – The Dark Descent“ gab es Mitte der Woche bei Steam geschenkt. Die DRM-freie-Version des Gruselspiels bei GOG wäre mir einhundert Mal lieber gewesen als die accountgebundene Steamschrott-Fassung. Aber einem geschenkten Gaul usw., ihr kennt das ja. Jedenfalls wurde die Aktion nur mäßig deutlich bekanntgemacht, außerdem war ich relativ viel beschäftigt, und natürlich galt die Aktion mal wieder nur für einen wirklich sehr knappen Zeitraum. Ich erfuhr erst am Mittwoch im Büro davon, nur ein paar Stunden bevor es zu spät gewesen wäre.

Erschrocken rechnete ich mir aus, dass ich nicht mehr rechtzeitig zuhause sein würde, da ich ausgerechnet am selben Abend einem Firmenevent beiwohnen würde. Ich wäre mindestens zwei Stunden zu spät dran. Das war mal wieder typisch für Steam, dass sie sich den denkbar ungünstigsten Zeitpunkt dafür aussuchen würden, nur um mir mal wieder eins reinzuwürgen. Aber ich hatte noch ein Ass im Ärmel: Ich kannte glücklicherweise meine Steam-Zugangsdaten auswendig. Also nur flott bei Steam eingeloggt, um mir das begehrte Spiel einzuheimsen, das dauert keine 30 Sekunden. Leider hatte mein geringes Glück mich schon nach den ersten paar Mausklicks wieder verlassen, denn den verdammten Steamguard hatte ich völlig vergessen. Der Browser mit dem ich mich einloggen wollte, war ihm höchst suspekt, ich müsste diesen erst über eine E-Mail verifizieren. Verdammte Scheiße, Steamguard, entspann‘ dich mal! Ich will doch nur das blöde Spiel in meinen Warenkorb legen!

So klickte ich wild herum, in der Hoffnung, dass ich mich doch noch irgendwie einloggen könnte. Ich versuchte sogar, das Spiel zu installieren ohne eingeloggt zu sein, aber ich wurde mehrmals zum selben Login-Bildschirm weitergeleitet, mit der immergleichen blöden Steamguard-Meldung, die mir den letzten Nerv raubte. Ich suchte verzweifelt den „Spiel meinem Account hinzufügen ohne mich einzuloggen“-Button, den es doch genau für solche Fälle geben musste, denn welcher Hacker würde mir denn bitte irgendwelche Spiele in meinen Account legen wollen. Meine Gehirnwindungen rotierten beim Versuch, mich an das Passwort für den bei Steam hinterlegten E-Mail-Account zu erinnern, doch da war nichts zu machen. Der Steamguard entschloss sich, mir das tolle Horrorspiel vorzuenthalten. Würde es tatsächlich so enden?

Schon bald spielte ich mit dem Gedanken, direkt nach Feierabend nachhause zu fahren, und mich für den Firmenevent entschuldigen zu lassen. Aber eigentlich wäre das ja schon irgendwie armselig, mich von einem Spiel für eine handvoll Euro so kontrollieren zu lassen. Andererseits hätte ich vielleicht schnell nachhause fahren, das Spiel kurzerhand in meinen Account klicken und danach direkt wieder ins Geschäft zurückkehren können. Zeitlich machbar, aber wenn ich die zusätzliche Fahrstrecke in Euro umrechnete, wäre das Gratisspiel am Ende gar keins mehr, also völlig sinnlos.

Ein letzter Notnagel fiel mir ein: Für den fraglichen E-Mail-Account kannte ich das Passwort nicht, aber ich hatte via Smartphone Zugang zu dem anderen E-Mail-Account, der beim erstgenannten E-Mail-Anbieter zur Sicherheit hinterlegt ist. Ich musste nun dort auf „Ich habe mein Passwort vergessen“ klicken, damit ich mit dem Smartphone dann die Passwortänderung freigeben konnte, damit ich mich wiederum beim ersten E-Mail-Account einloggen konnte, damit ich eine der zwei Dutzend Anfragen von Steamguard bestätigen konnte, damit ich mich bei Steam einloggen konnte, damit ich endlich das Spiel aktivieren konnte. Klingt voll scheiße. Ist auch so. Und das alles nur, weil Steamguard ein blödes Arschloch ist.

Ja, ich weiß, Steamguard lässt sich auf eigenes Risiko abschalten, wenn man denn möchte, dass einem die gesamte Steam-Library abhanden kommt. Aber das hat mir an dem Tag natürlich überhaupt nichts genützt, weil er da noch aktiviert war, und das lässt sich ohne Zugang nicht ändern. Für die Zukunft kann ich es mir dann mal überlegen. Jedenfalls hat die Geschichte diesmal ein Happy End, und das ist für mich bei Steam eher selten der Fall. Außerdem habe ich ein neues Passwort für meinen E-Mail-Account.